oder
Wie die IG BCE mit Argumentationen der Bergbau-Betroffenen umgeht
Der
Hauptvorstand der Industrie-Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE)
hat mit erheblichem Aufwand unter dem Tenor ‚Unsere Kohle hat Zukunft’ eine
Reihe „Argumente“ publiziert. Diese sollen neun
von der Gewerkschaft selbst so genannten ‚Vorurteilen’ bei Kritikern und Gegnern
der heimischen Steinkohle entgegenwirken.
Allein
schon mit der Bezeichnung ‚Vorurteile’ wird der Eindruck erweckt, als seien die
Argumente der Bergbau-Betroffenen allesamt sachlich widerlegbar, unrealistisch
und / oder weltfremd. Nun ist es das gute Recht eines Betroffenen, seine Meinung
zu äußern. Dadurch, dass man die Argumente der Betroffenen durch Bezeichnungen
wie ‚Vorurteil’ zu diffamieren sucht, wird der von der DSK propagierte ‚sachliche
Dialog’ mit den Betroffenen nicht gefördert, im Gegenteil. Aber vielleicht will
die IG BCE diesen gar nicht.
Eine
äußerlich gut aufgemachte Broschüre schafft noch keine Überzeugung, aber mancher
Leser und manche Leserin wird sich vielleicht durch diese Vorgehensweise dazu
verführen lassen, den Argumenten der IG BCE Glauben zu schenken.
Im
Folgenden soll daher versucht werden, auf die neun ‚Argumentationen’ einzeln zu
reagieren. Es bleibt dem Leser und der Leserin dann überlassen, selbst seinen /
ihren Standpunkt zu finden. Der volle Text der Broschüre(n) der IG BCE kann
hier nicht wiedergegeben werden. Daher wird auf die Originale verwiesen.
1. sog. ‚Vorurteil’: Kohle gibt
es weltweit genug, unser Bergbau ist doch überflüssig.
Argumente der IG BCE dazu: ‚Deutsche Kohle ist Versorgungssicherheit.’
Richtigstellung: Man
sollte bei der IG BCE das Grünbuch der EU-Kommission aus dem Jahr 2000 genauer
studieren: Der Kohlemarkt ist auf lange Sicht ein Wettbewerbsmarkt (etwa
im Gegensatz zum Erdölmarkt, der im Wesentlichen einen Kartellmarkt darstellt).
Wenn es eines sehr, sehr fernen Tages – was unwahrscheinlich ist – in Europa zu
einer Versorgungskrise bei der Steinkohle käme, dann wären die Lagerstätten –
macht man so weiter wie bisher – allesamt in Deutschland längst ausgekohlt. Versorgungssicherheit
heißt also – so sieht es auch die EU-Kommission – die Kohle in Europa in der
Erde lassen.
2. sog. ‚Vorurteil’: Kohle ist doch nichts anderes als ein riesiger
Geldvernichter.
Argumente der IG BCE dazu: ‚Die Wahrheit über die
Subventionen’: Der Subventionsbedarf für den deutschen Steinkohlebergbau
lag 1998 bei 9,9 Milliarden DM (3,3 % am gesamten Subventionsvolumen). Für den
Verkehr als Spitzenreiter der Subventionsempfänger seien 1998 fast das Fünffache
und für die Landwirtschaft beinahe das Dreifache an Subventionen ausgegeben worden.
Zudem sinke der Anteil der Steinkohle-Subventionen ‚sogar auf nur noch 1,7 Prozent’.
Richtigstellung: Es ist kein gutes Verfahren, die Subventionspolitik
in anderen Bereichen (die zudem ggf. auf anderer Grundlage steht) als Argument
für Steinkohlesubventionen heranzuziehen. Den Bergbau-Betroffenen zudem in den
Mund zu legen, dass Geld ‚vernichtet’ würde, ist eine ungerechtfertigte Unterstellung
(und passt eher in die Strategie der DSK und IG BCE, Emotionen zu schüren). Es
gibt eben – und das sehen die Bergbau-Geschädigten so und nicht anders –
andere Möglichkeiten, das Geld des Steuerzahlers zu verwenden, etwa zu Umstrukturierungsmaßnahmen.
Die Steinkohle-Subventionen stellen letztendlich eine einmalige und riesige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
dar (deren generelle Wirkung man inzwischen auch anderweitig als nicht sehr
nützlich einzusehen beginnt) – nichts anderes.
3. sog. ‚Vorurteil’: Kohle ist doch als Wirtschaftsfaktor unbedeutend.
Argumente der IG BCE dazu: ‚Kohle bringt Kohle und
Arbeitsplätze.’
Richtigstellung: Würde man den Bergleuten das Geld schenken,
gäbe es auch die hier entsprechend propagierte ‚Kaufkraft’. Natürlich hängen
von den Bergbau-Aktivitäten auch Zulieferer ab. Es wird offenbar (bewusst?)
nicht kapiert, dass es gar nicht darum geht, den Wirtschaftsfaktor ‚Kohle’
zu bewerten, sondern auf unendliche Zeit zu subventionierende Arbeitsplätze
durch solche zu ersetzen (keine leichte Aufgabe!), die ohne Subventionen
auskommen. Planwirtschaft ist in der DDR genug getrieben worden, Deutschland
gibt bei dieser Mentalität für Europa ein schlechtes Beispiel, das übrigens dem
Erhard’schen Denken total zuwiderläuft. Soziale Marktwirtschaft: ja,
aber bitte nicht nach sozialistischer Manier. Was den möglichen Verlust
an bergbaulicher Fachkompetenz angeht: bei der Frage der Kernenergie war man
hier nicht so zimperlich. Man muss eben verloren gehende Kompetenzen durch neue
ersetzen, etwa im Bereich der erneuerbaren Energien, der Nutzung von Erdwärme
usf. Hier droht man mangels staatlicher Unterstützung in Deutschland den Anschluss
auch noch zu verpassen.
4. sog. ‚Vorurteil’: Kohle ist doch von gestern und eine völlig
veraltete Industrie.
Argumente der IG BCE dazu: ‚Unser Bergbau ist High
Tech.’
Richtigstellung: Wieder eine bewusste Unterstellung. Kein Bergbau-Betroffener
bestreitet die hohe technische Qualität der deutschen Bergbauindustrie. Deutsche
Bergbauingenieure sind aber längst auch in den im Besitz des (deutschen) RAG –
bekanntlich das Mutter-Unternehmen der DSK – befindlichen Bergwerken in Übersee
tätig. Ein Ende des Kohlebergbaus in Deutschland bedeutet zudem nicht, dass
keine Kohle mehr in Deutschland verarbeitet würde (es ist dann eben nur
die preiswerte Importkohle), wie man am Beispiel Eisenerz übrigens ja sehen
kann. Die Schlussfolgerung, dass nach Ende der Steinkohleförderung in Deutschland
auch die Kompetenz der Verarbeitung von Kohleprodukten verloren gehe,
ist einfach absurd.
5. sog. ‚Vorurteil’: Kohle macht doch unsere Umwelt vor allem
durch hohe CO2-Emissionen zusätzlich kaputt.
Argumente der IG BCE dazu: ‚Deutscher Bergbau
sorgt für saubere Luft.’
Richtigstellung: Für wie dumm hält man hier die Leserinnen
und Leser?. Die deutsche Kohlekraftwerkstechnik – die dann ja die preisgünstige
Importkohle verwendet – muss so oder so auf die Anforderungen des Umweltschutzes
reagieren; diese Thematik ist völlig unabhängig von der Frage zu sehen,
ob die verarbeitete Kohle aus ‚heimischen’ Bergwerken kommt oder importiert
wird. Dass das Thema diskussionswürdig ist, steht auf einem anderen Blatt.
6. sog. ‚Vorurteil’: Kohle kassiert doch nur Staatsknete und lässt
alles beim Alten.
Argumente der IG BCE dazu: ‚Bergbau wird ständig
moderner.’
Richtigstellung: Die Bergbau-Betroffenen spüren am eigenen
‚Leib’, was die DSK unter Modernisierung versteht. Leider lässt man eben nicht
alles ‚beim Alten’, sondern rationalisiert um jeden Preis und vor allem zu
Lasten der Oberflächenbewohner: es wird der kostengünstigere Bruchbau
statt des früher angewendeten Versatzbaus (Blas- oder Spülversatz) betrieben,
es werden keine ‚Sicherheitspfeiler’ an Kohle mehr stehen gelassen, sondern so
viel wie möglich in so kurzer Zeit wie möglich ‚herausgeholt’, um die Vorgaben
der stetigen Rationalisierung (Senkung der Förderkosten / t Kohle) zu erfüllen.
Doch diese Soll-Vorgaben lassen sich zunehmend weniger erreichen.
Dass der Importkohlepreis gestiegen ist, ist wesentlich
auf die Schwäche des Euro zurückzuführen, die wiederum nicht unerheblich darauf
zurückzuführen ist, dass man international immer weniger Vertrauen in die deutsche
Wirtschafts- und besonders in die Innovationskraft hat.
Die Prosperität der Bergwerke der RAG in Übersee
(dazu schaue man sich einfach die entsprechenden Bilanzen an) zeigt deutlich,
dass es nicht – wie hier wieder propagiert – mangelnde Sicherheitsstandards
sind, sondern in erster Linie einfach die günstigeren Abbaubedingungen, bei
denen man bei der Förderung einer Tonne Kohle eben mit weitaus weniger Personal-
und Technikaufwand auskommt. Das in diesem Zusammenhang häufig vorgebrachte Hinweis
auf die ‚Kinderarbeit’ (in der Argumentation der IG BCE versteckt im Terminus
vom geringeren ‚Sozialstandard’) sollte langsam ad acta gelegt werden.
7. sog. ‚Vorurteil’: Die erzählen immer was von ihren vielen Ausbildungsplätzen
– Bergmann lernen ist ja wirklich auch eine dolle Perspektive.
Argumente der IG BCE dazu: ‚Fit for Future.’
Richtigstellung: Niemand – auch nicht bei den Bergbau-Betroffenen
– bestreitet die anerkannte Qualität der Ausbildungsstätten der DSK. Die Ausbildungsrichtungen
weisen aber nahezu ausnahmslos aus dem Bergmanns-Kernberuf (unter Tage)
hinaus. Bergmann unter Tage zu werden ist in der Tat also keine ‚tolle Perspektive’
mehr, eine Ausbildung bei der DSK andererseits eine gute Referenz. Das sollte
man einfach trennen.
8. sog. ‚Vorurteil’: Deckel drauf und Ende – ist doch billiger als
jahrelang weiter fördern.
Argumente der IG BCE dazu: ‚Deutsche Kohle rechnet
sich.’
Richtigstellung: Niemand bestreitet, dass auch ein Auslaufbergbau
Geld kostet. Hätte man allerdings 1997 damit angefangen, wäre man heute fast
schon ‚durch’. Die ‚Rechnung’, die die IG BCE hier aufmacht (auch von der DSK
wird ähnlich ‚argumentiert’), ist jedoch zu simpel. Sie geht davon aus, dass es
den Staat nicht billiger, sondern teurer käme, wenn man den Bergbau jetzt zügig
auslaufen ließe, und dass diese Mittel dann gerade fehlen würden, um Umstrukturierungen
vorzunehmen. Ganz abgesehen davon, dass (Beispiel Walsum) ‚Ewigkeitsschäden’
vom Bergbau (dort: unter dem Rhein) verursacht würden mit Kosten, die noch
viele Generationen tragen müssten, behindert der Bergbau – wie Gutachten ausweisen
– seit Jahren schon das Anlegen von neuen Gewerbegebieten. Es gilt nach wie vor
der betriebswirtschaftliche Grundsatz: Gutes Geld soll man schlechtem Geld
nicht noch hinterherwerfen. Da helfen Milchmädchenrechnungen nicht weiter.
9. sog. ‚Vorurteil’: Das können sie – Bergschäden hinterlassen und
sich um nichts kümmern.
Argumente der IG BCE dazu: ‚Der Bergbau steht zu
seiner Verantwortung.’
Richtigstellung: In der Tat hat man bei der DSK – auf Druck
der Initiativen der Bergbau-Betroffenen – dazugelernt. Die Behauptung, Bergbau-Betroffene
seien der Auffassung, dass sich das Unternehmen bei Bergschäden um nichts
kümmere, ist so pauschaliert generell zurückzuweisen. Das Bundesberggesetz
sieht entsprechende Entschädigungen vor. Das Mindeste, was man also erwarten
kann, ist, dass die verursachten Schäden auch beseitigt werden. Wer ‚vor Ort’
betroffen ist, muss aber – trotz der anerkennenswerten Bemühungen des Unternehmens
(sie haben sich großteils erst durch entsprechenden Druck der Bergbau-Initiativen
gesteigert) – die ergriffenen Maßnahmen als weiterhin unzureichend beurteilen.
Da sich in der letzten Zeit die Schadensfälle häufen (Beispiel Fürstenhausen),
ist eine Schadensregulierungsabteilung (und auch die Unternehmen, die die
Schäden beheben) häufig einfach logistisch überfordert. Wenn praktisch über
Nacht so nicht vorhersehbare Schäden eintreten, nutzt der beste Wille wenig.
Da die Beurteilung der einzelnen Fälle ggf. auch kompliziert ist, reicht ein
kurzer Blick nicht aus. Der Ärger ist vorprogrammiert. Das Hauptproblem
ist jedoch, dass niemand der Betroffenen einzusehen vermag, dass er im Schadensfall
auch noch zuzahlen muss, da ihm nur der Sachwert (zum Zeitpunkt
x) und nicht die (notwendigen) Anschaffungs- oder Erneuerungskosten ersetzt werden.
Da nützt es auch nichts, wenn nachher der Garten oder die Hausfront in neuem
Glanz erstrahlen, ganz abgesehen davon, dass in vielen Fällen die neue ‚Welle’
des Abbaus des nächsten Flözes oder benachbarten Strebs am Haus schon absehbar
ist, die die Prozedur von vorne beginnen lässt.
Die
Rechtfertigungsbemühungen der IG BCE gehen von falschen Voraussetzungen aus,
sie treffen nicht die wahren Probleme. Gelöst werden kann die Problematik nur,
wenn man endlich Schluss macht mit dem Kohleabbau in Deutschland mit
Einfluss auf Mensch und Umwelt. Die Broschüren der IG BCE stellen eher eine
Desinformation der Bürgerinnen und Bürger als den konkreten Sachverhalt dar.
Als Bergbau-Betroffener muss man sich gegen diese Unterstellungen verwahren.
Mit dieser Art einer Öffentlichkeitsarbeit, die sich zudem mehr oder weniger in
die eigene Tasche lügt, kommt kein Sachdialog zustande.
Verantw. i.S.d.P. Prof. Dr. Harald H. Zimmermann, Lauterbacherstr. 60, 66352 Großrosseln