Weitblick

 

Bergleute und Bergbau-Geschädigte in einem Boot

 

Die systematische Rückführung des Steinkohlebergbaus in Deutschland ist für die Bergleute, ihre Familien und die damit verbundene Zulieferindustrie sehr schmerzlich. Andererseits sind die Schäden, die der Bergbau – auch bedingt durch die Abbaumethode (Bruchbau) – übergangsweise und auf Dauer an der Oberfläche in Wohngebieten und in der Umwelt anrichtet, erheblich.

 

Der Konflikt hat tragische Momente:

 

-   Der deutsche Steinkohlebergbau ist gegenwärtig und bleibt auf lange Sicht unwirtschaftlich. Der Weltmarktpreis der Importkohle (derzeit ca. 100 DM / t) liegt weit unter dem Gestehungspreis deutscher Steinkohle (derzeit über 300 DM / t). Kohlevorkommen sind weltweit reichlich vorhanden; der Kohlemarkt ist auf lange Sicht ein Wettbewerbsmarkt und kein Kartellmarkt wie bei Gas oder Öl (vgl. das Grünbuch 2000 der Europäischen Union). Jedes 'normale' Wirtschaftsunternehmen hätte längst Konkurs anmelden müssen.

 

-   Die deutsche Steinkohle wird als Energieträger auf absehbare Zeit angesichts der weltweiten Vorräte nicht benötigt. Selbst wenn auf lange Sicht eines Tages die Nutzung heimischer Steinkohle energiepolitisch wieder notwendig werden sollte, ist es unsinnig, wenn zwischenzeitlich gerade diejenige Kohle abgebaut wird, die im Falle einer späteren Versorgungskrise oder einer etwaigen Erpressung durch ein (angenommenes) Kohle-Kartell benötigt würde: Sie wäre ggf. aufgrund des zwischenzeitlichen Abbaus – bei dem von der DSK und RAG angepeilten Sockel von ca. 20 Mio. t Förderung / Jahr – nicht mehr verfügbar, so dass sich das Prinzip ad absurdum führte. 

 

-   Die soziale und volkswirtschaftliche Problematik, d.h. die Vermeidung eines plötzlichen Verlusts von Abertausenden von Arbeitsplätzen, wird in Deutschland derzeit auf politischer Ebene gelöst, indem die Förderung (bis 2005) systematisch reduziert, das Personal entsprechend abgebaut und zugleich der Unterschied zum Weltmarktpreis aus Subventionen des Bundes beglichen wird, wobei die subventionierte Kohle von den deutschen Kraftwerken und Kokereien verwendet werden muss. Im Zuge dieser Reduktion werden die unrentabelsten Zechen geschlossen. Dass dieses Konzept irgendwann logistisch an seine Grenzen stößt (man kann ein Bergwerk nicht mit ‚halbem’ Personal fahren), sollte eigentlich auch Nicht-Fachleuten klar sein.

 

-   Um dieses allgemeine Konzept nicht zu einem reinen Bedienungsapparat der Bergbau-Betreiberin ausarten zu lassen, wurde – vereinfacht dargestellt – ein Höchstbetrag an Subventionen (200.- DM / t Kohle) festgelegt und zusätzlich gefordert, dass die Gestehungskosten / t Kohle durch Rationalisierungsmaßnahmen kontinuierlich gesenkt werden.

 

-   Umschulungswilligen Bergleuten wird eine Hilfestellung bei der Vermittlung in externe Berufe gegeben.

 

Kaum bedachte – und zudem wachsende – negative Konsequenzen sind:

 

-   Schonendere Abbaumethoden, die die Auswirkungen des Bergbaus auf die Oberfläche (v.a. auch mit Bezug zu bewohntem Gebiet) begrenzen könnten, werden aus wirtschaftlichen Gründen nicht eingesetzt. Der im Bergbau lange Zeit verwendete Blas- oder Spülversatz wäre nach wie vor weitgehend praktizierbar, auch wenn er Bergschäden nicht verhindert, sondern nur deutlich reduziert. Eine entsprechende Abbaumethode hätte geholfen, die bestehenden Konflikte weitestgehend zu vermeiden.

 

-   Um die Ausbeute je Schicht zu optimieren, wird von der Bergbau-Betreiberin der Schwerpunkt auf die Abbaugeschwindigkeit gelegt; um die Kosten / t zu reduzieren, werden den Betrieben Sollzahlen vorgegeben, die kaum erreichbar erscheinen. Jede unternehmerische Entscheidung erfolgt unter dieser Maxime. Der einzig sinnvolle Kompromiss mit den vom Bergbau betroffenen Oberflächeneigentümern – ein schonender Abbau mit Anwendung der Versatztechnik – wird von der Unternehmensspitze aus Kostengründen kategorisch abgelehnt. Damit stürzt man auch die Bergleute in Konflikte, da sie praktisch zum Sündenbock dieser politischen wie Unternehmens-Strategie gemacht werden.

 

-   Da viele v.a. jüngere Fachkräfte die Gelegenheit nutzen, aus dem Bergbau auszuscheiden, müssen zunehmend wichtige Positionen durch Leiharbeiter ersetzt werden und überaltert das angestammte Fachpersonal.

 

Durch das allein wirtschaftliche Aspekte berücksichtigende Abbauverfahren (Bruchbau) der DSK werden Mensch und Umwelt weitaus mehr betroffen, als dies in früheren Zeiten der Fall war. Die Auswirkungen in den verschiedenen Regionen sind unterschiedlich, die Ursachen die gleichen. Hier einige Beispiele:

 

-   Am Niederrhein (Bergwerk Walsum) droht durch die Land-Absenkungen am Rhein die Gefahr ungeheurer Überschwemmungskatastrophen; wertvolles Grundwasser muss auf ewige Zeiten in der Dimension von über 100 Millionen m³ / Jahr in den Rhein zurückgepumpt werden.

 

-     In Lebach / Saar (Bergwerk Ensdorf) bebt seit Jahren die Erde mit Werten von bis zu einer Stärke von 3,1 auf der Richterskala und versetzt zwei- bis dreimal die Woche, oft auch nachts, die Menschen in Angst und Schrecken.

 

-     In Völklingen-Fürstenhausen (Bergwerk Warndt-Luisenthal) ist bei Realisierung des geplanten weiteren Abbaus der ganze Ortskern von schweren und schwersten Schäden betroffen; über 200 der 850 Häuser haben schon eine Gaswarnanlage, den Ängsten und konkreten psychischen Belastungen der Bevölkerung wird durch die bergamtliche Anordnung einer psychosozialen Beratungsstelle ‚begegnet’ (!).

 

Die DSK fordert seit Jahren mehr Sachlichkeit bei der Diskussion um den Steinkohlebergbau in Deutschland. Dazu ist aber auch erforderlich, dass sie sich umgehend auf die neuen Rahmenbedingungen einstellt, die von der Europäischen Union auf den Weg gebracht werden:

 

Dort ist für die Zeit nach dem Ende des EGKS-Vertrags (Mitte 2002) ein drastischer Paradigmenwechsel zu erkennen: Ziel ist die Einführung eines (nationalen) Primärenergiesockels mit einem Anteil von etwa 20 % am Energiebedarf (nicht zu verwechseln mit einem Kohlesockel!), bei dem die nationale Subventionierung der Steinkohleförderung als Energiequelle bis 2010 kontinuierlich zugunsten der Förderung des Ausbaus regenerativer alternativer Energien zurückgenommen wird und eine subventionsbedürftige Minimalförderung von Steinkohle in ausgewählten Bergwerken nur noch zur Erhaltung des Know-how und der Infrastruktur für eine theoretisch langfristig denkbare Versorgungskrise vorgesehen ist.

 

Die EU-Strategie eröffnet neue Chancen, die umgehend zu nutzen sind. Hier kann dies nur exemplarisch angedeutet werden.

 

-   Unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit ergibt sich als Alternative: Bergwerke, die noch hinreichend Vorräte aufweisen, werden auf einem Minimal-Förderniveau (ohne marktbezogenen Abbau der Kohlevorräte) so weiter betrieben, dass es in einem in ferner Zukunft liegenden denkbaren Krisenfall möglich ist, den produktiven Betrieb rasch wieder anlaufen zu lassen. Diese 'Versorgungssicherheit' wird weiter staatlich voll subventioniert. Das Modell ist mit dem Konzept der Feuerwehr vergleichbar: Um das Know-how der Feuerwehr und die entsprechende Logistik zu erhalten, muss man auch nicht täglich einen Brand legen.

 

-   Schon ein Teil der für den Kohleabbau verfügbaren Subventionsmittel könnte den betroffenen Regionen helfen, die erforderliche Umstrukturierung sozialverträglich und erfolgreich zu bewältigen. Dass die bis 2005 veranschlagten verfügbaren Mittel haushaltstechnisch nicht einfach übertragbar sind, darf kein Hindernis sein, umgehend auf politischer Ebene Alternativen anzugehen und bestehende Regelungen zu modifizieren.

 

Niemand will und darf die Bergleute angesichts des notwendigen raschen Endes des produktiven Kohlebergbaus in Deutschland im Regen stehen lassen und sie mit ihren Familien in den finanziellen Ruin treiben. Es ist klar, dass es angesichts des Arbeitsmarktes derzeit sehr schwer ist, eine Patentlösung zu finden. Es gibt jedoch Möglichkeiten, Übergangslösungen zu schaffen (Frankreich ist hier ein gutes Beispiel, vielleicht sogar ein Vorbild), wobei es ein wesentliches Ziel ist, vor allem die jüngeren Menschen so weiterzubilden bzw. umzuschulen, dass sie eine gute Chance am Arbeitsmarkt haben bzw. ihnen die Möglichkeit eröffnet wird, sich selbständig zu machen. Dazu ist es aber auch nötig, in den betroffenen Regionen einen entsprechenden, die bestehenden Kompetenzen berücksichtigenden Arbeitsmarkt zu fördern. Die besondere Förderung des Ausbaus der alternativen regenerativen Energien in diesen Regionen könnte ein solcher Weg sein. Das jetzige Angebotsmodell ist unzureichend. Selbst wenn dieser Prozess noch zehn Jahre dauerte, wäre es immer noch besser, einen Teil der für den Kohleabbau bereitgestellten Subventionsmittel hierfür zu nutzen (z.B. unter Einrichtung einer Kohlestiftung analog zur Stahlstiftung), als das Problem vor sich herzuschieben.

 

Aufgrund dieses neuen energiepolitischen Grundkonzepts ist das bestehende, bis 2005 laufende Modell der subventionierten deutschen Steinkohleförderung überholt und dringend zu überarbeiten. Jetzt ist der Augenblick gekommen, die Strategie zu ändern und in der Konsequenz den Bergbau mit Einfluss auf bewohntes Gebiet zu beenden, ehe noch weitere Schäden an Mensch, Natur und Gütern entstehen. Das Jahr 2002 ist das Jahr der Entscheidung.

 

Die Argumente richten sich nicht gegen die Bergleute und ihre Familien – hier sitzen u.E. alle in einem Boot. Doch den Kopf in den Stand zu stecken und weiter so zu verfahren wie bisher ist schädlich für alle.

 

 

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Eine gemeinsame Information der Initiativen

 

BiB; Bürgerinitiative Bergbaubetroffener am Niederrhein e.V.;

 

IGAB Interessengemeinschaft zur Abwendung von Bergschäden Knorscheid-Hoxberg (Raum Ensdorf-Lebach);

 

Fulko; Fürstenhausen-Völklinger Union zur Limitierung des Kohlebergbaus unter bewohntem Gebiet.

 

Weitere Materialien und Links im Internet unter

www.bergschaden-kohlebergbau.de

 

Stand: 21.10.2001

 

Verantw. i. S. d. Pressegesetzes: Prof. Dr. Harald H. Zimmermann, Lauterbacherstr. 60, 66352 Großrosseln