Der SPIEGEL 9 / 2001, S. 52 (ohne Bilder)
am Niederrhein
Konsterniert stehen Steinkohle-
Manager vor einem neuen
Phänomen: Ausgerechnet im Revier
lehnt sich die Bevölkerung
gegen eine Zechenerweiterung auf.
von Barbara Schmid und Martin
Staudinger
Feine Risse durchziehen die Klinker am Häuschen von
Günter Terbeck, 67, vor der Garage liegt das Pflaster in Wellen und Dellen. Für
Terbeck, den Ex-Kumpel, ein vertrauter Anblick. Hinter seinem Heim ragen die
Fördertürme des Bergwerks Walsum empor. Bis zur Rente hat Terbeck dort malocht,
und natürlich weiß er, dass Bergschäden zum Bergbau gehören wie schwarze Gesichter
zum Schuften im Schacht.
Doch seit die Deutsche Steinkohle AG (DSK) vor Kurzem
ihre neuen, gewaltigen Abbaupläne bekannt gegeben hat, ist sogar Terbeck die
Wühlwut seines früheren Arbeitgebers nicht mehr geheuer. "Ich war lange
genug selbst im Pütt", sagt er, "aber diese Pläne machen mir Sorge."
Nicht nur Terbeck. Zum ersten Mal in der Geschichte
des Bergbaus im Revier machen Tausende Menschen über Tage bei einer Zechenerweiterung
nicht mehr mit. Verdattert stehen die einst allmächtigen Bergbau-Manager vor
einem für sie völlig neuen Phänomen: offener Widerstand des eigenen Fußvolks.
Sogar eine Demonstration mussten sie sich schon gefallen lassen: von Menschen,
die auf Kohle aufgewachsen sind.
Der Unmut der Bevölkerung ist so groß wie das Vorhaben.
50 Millionen Tonnen Steinkohle will die DSK bis 2019 unter Duisburg, Dinslaken und Voerde abbauen. Der
Boden im Gebiet wird sich um bis zu fünfeinhalb Meter senken; der Rhein, der
hier, wie der Niederrheiner sagt, eigentlich schon längst "rückwärts fließen"
würde, weil der Bergbau ihn bereits seit 60 Jahren absacken lässt, muss ein weiteres
Mal aufgeschüttet werden.
Über 10.000 Einwendungen gingen binnen weniger Wochen
bei der Bezirksregierung Arnsberg gegen den "Rahmenbetriebsplan" ein.
"Auf dieses Ausmaß an Protest waren wir nicht gefasst", gesteht der
für Bergschäden zuständige DSK-Mann Emanuel Grün.
Vorbei die Zeiten, in denen die Republik Kohleland
und Kohleland noch Kumpelland war, fuhren 1957 bundesweit 607.000 Arbeiter auf
173 Zechen ein, sind es heute gerade noch 56.000 in 12 Bergwerken, 9 davon im
Ruhrgebiet.
Noch 1997 verteidigten Zehntausende in Bonn mit geballten
Fäusten Jobs und Subventionen. Jetzt macht ihnen allein rund um Dinslaken fast
ein halbes Dutzend Bürgerinitiativen das Leben schwer. Nicht ohne Grund: Dürfen
die Kumpel vom Bergwerk Walsum tatsächlich weiterbuddeln, sinkt das Gelände so
tief ab, dass der Rhein in seinem aufgeschütteten Bett über die angrenzenden
Wohngebiete hereinbrechen würde. Die Dämme müssten dann auf bis zu 15 Meter erhöht
werden.
Durch den weiteren Abbau verwandelt sich die Gegend
in eine riesige Mulde: Ganze Pumpengalerien wären nötig, um jährlich rund 60
Millionen Kubikmeter Grundwasser wegzudrücken, wie die Stadt Duisburg berechnet
hat. Trotzdem muss der Bahndamm der Linie Oberhausen-Arnheim noch angehoben werden,
die Schallschutzwände würden auf acht Meter wachsen.
"Ich verstehe die Einwände aus Sicht der Betroffenen",
sagt Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Ernst Schwanhold, SPD. "Aber
derzeit sehe ich keine Alternative zum Abbau in Walsum." Schon Anfang 2002
will die DSK mit der Förderung beginnen, bis dahin muss ein Kompromiss her.
"Es geht darum, einen Dialog mit der Bevölkerung über unsere Abbaupläne zu
finden", umreißt Wolfgang Traud, Direktor des Bergwerks Walsum, seine Aufgabe.
Dabei kämpft Traud nicht nur mit den Sorgen der Niederrheiner,
sondern auch noch gegen jede ökonomische Vernunft. Rund 50 Mark je Tonne Kohle
kalkuliert die DSK allein für Bergschäden, Umstrukturierungsmaßnahmen und die
Betreuung aufgelassener Standorte. Nur 40 Mark teurer ist die Kohle aus aller Welt, die täglich im
nahen Duisburger Hafen angeliefert wird. Walsums Kohle kostet mit 280 Mark gut
dreimal mehr. Ohne Subventionen - immer noch fast acht Milliarden im Jahr -
gäbe es den deutschen Steinkohle‑Bergbau längst nicht mehr. Und spätestens
2005, wenn die EU erneut über die Kohlesubventionen verhandelt, steht der Raubbau
an der Natur wieder zur Debatte. "Wofür jetzt die Umwelt zerstören, wenn
überhaupt nicht klar ist, welche Zechen nach 2005 noch existieren?", fragt
sich Dinslakens Baudezernent Klaus Haverkämper.
Bloß die DSK sieht bei Kohle nicht schwarz. "Aus
meiner Sicht ist Kohle weltweit der Energieträger der Zukunft", macht sich
Zechenchef Traud Mut: "Wir stehen global an der Schwelle zum Kohlezeitalter.