Bergbau-Geschädigte in Deutschland:

 

Brüsseler Resolution

 

Der Antrag der Kommission der Europäischen Union als Vorlage an den Ministerrat zu einer Initiative der Europäischen Union zur Steinkohleförderung in der Nachfolge des EGKS-Vertrags bis 2010 wird grundsätzlich begrüßt.

 

Die Unterzeichner sehen sich jedoch veranlasst, den Ministerrat der Gemeinschaft aufzufordern, bei der Beschlussfassung die Interessen der Bergbaubetroffenen und -geschädigten in Deutschland wesentlich stärker und explizit zu berücksichtigen.

 

Sie bitten zugleich das Europäische Parlament und die an der Beratung beteiligten Ausschüsse der Kommission der Union, die nachstehenden Forderungen bei ihren Stellungnahmen zu berücksichtigen.

 

Ferner fordern sie die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, die Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und des Saarlandes sowie das Bergbau-Unternehmen Deutsche Steinkohle AG und deren Muttergesellschaft RAG auf, diesen Forderungen in den Verhandlungen ebenfalls Rechnung zu tragen.

 

Präambel

 

Über viele Jahrzehnte war die heimische Steinkohle eine wichtige, ja lebensnotwendige Ressource für die europäischen Staaten. Die wirtschaftliche Situation hat sich jedoch gewandelt. Die Bergwerke in Europa – dies schließt die Länder Polen und Tschechien ein, denen die Tür in die Europäische Gemeinschaft bald geöffnet werden wird – arbeiten angesichts des Weltmarktpreises der Steinkohle seit Jahren unwirtschaftlich und werden es auf absehbare Zeit weiter sein. Vor allem aus arbeitsmarktpolitischen Gründen hat man die nationale Subventionierung der Steinkohleförderung in einigen Mitgliedsländern der EU für sinnvoll gehalten.

 

Der Kohlemarkt ist – im Gegensatz zu Öl und Erdgas – angesichts der weltweit langfristig vorhandenen Vorräte ein Wettbewerbsmarkt. Aus energiepolitischen Gründen ist es selbst in Ländern, die den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen haben, nicht nötig, auf die zudem hier in jedem Falle zur Neige gehenden nationalen Lagerstätten zurückzugreifen. Mit dem Auslaufen des EGKS-Vertrags bietet sich eine Chance für eine neue Energiepolitik.

 

Die EU-Kommission hat mit Ihrem Vorschlag an den Ministerrat, in der Nachfolge des EGKS-Vertrags die Kohleförderung weiter kontinuierlich zurückzunehmen und statt dessen den Ausbau des Anteils alternativer regenerativer Energien zu fördern, einen sinnvollen Weg aufgezeigt.

 

Angesichts des steigenden Kosten- und Rationalisierungsdrucks kommt es jedoch in einer Phase, die man mit Fug und Recht eine Auslaufphase nennen kann (auch wenn aus bestimmten Gründen noch ein sog. Minimalbergbau erhalten bleiben soll) in den betroffenen Regionen zu Folgeschäden, die die Menschen – v.a. alte Menschen – auf Jahre und Jahrzehnte physisch und psychisch belasten und sogar – wie im Bergwerk Walsum am Niederrhein – zu ‚Ewigkeitsschäden’ führen (s. u.).

 

Der Beschlussantrag der EU-Kommission geht auf die lokalen und regionalen Probleme der Menschen- und Umweltverträglichkeit des bestehenden und in den nächsten Jahren auch noch andauernden Bergbaus nicht ein. Bei dieser Thematik werden im Beschlussentwurf allein ‚globale’ Probleme angesprochen (z.B. CO2-Problematik). Wenn jedoch der Bergbau unter bewohntem Gebiet wie bisher weitergeht, fühlen sich die betroffenen Menschen in diesen Regionen angesichts der allgemein erkannten energiepolitischen Sinnlosigkeit im Stich gelassen. Wenn man dabei die Bergleute nicht im Regen stehen lassen will, gibt es andere arbeitsmarktpolitische Instrumente, z.B. – wie unten vorgeschlagen - die Einrichtung einer Steinkohlestiftung, vor allem aber das Instrument der Unterstützung einer zügigen regionalen Umstrukturierung, etwa mit besonderer Orientierung am wachsenden Markt der alternativen regenerativen Energien.

 

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Ausgangslage

 

Seit Jahren ist ein Abbau von Steinkohle in einigen EU-Ländern, insbesondere in Deutschland, ohne erhebliche staatliche Zuschüsse nicht mehr konkurrenzfähig. Der Steinkohlemarkt ist demgegenüber aufgrund der großen, weltweiten und verteilten Vorräte auf lange Sicht ein Wettbewerbsmarkt.

 

In Europa einschließlich der Bundesrepublik Deutschland ist eine unmittelbare energiepolitische Notwendigkeit zur Erhaltung eines nationalen Steinkohlebergbaus nicht gegeben, eine Autarkie in der Energieversorgung der Europäischen Union kann zudem durch die verfügbaren Steinkohle-Ressourcen generell nicht sichergestellt werden.

 

Beeinträchtigungen durch den Steinkohlebergbau wurden – so lange er für die Prosperität von Staat und Gesellschaft unersetzlich war – von den davon Betroffenen, insbesondere auch den Oberflächenbewohnern, akzeptiert, zumal dieser unter der Prämisse einer möglichst geringen Wirkung auf die Menschen und die Umwelt erfolgte (Beispiel: Blas- oder Spülversatz). Die nationalen gesetzlichen Regelungen (so z.B. das Bundesberggesetz der Bundesrepublik Deutschland) gehen nach wie vor von diesen Rahmenbedingungen aus.

 

Obwohl inzwischen - auch ausweislich des Grünbuchs 2000 der Europäischen Kommission - die Fakten eindeutig dagegen sprechen, wird insbesondere durch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland weiter ein energiepolitisches Erfordernis postuliert. Dies wird u.a. damit begründet, dass man aufgrund des Ausstiegs aus der Kernenergie andere Schwerpunkte setzen müsse. Unter diesem politischen Vorzeichen geht nach altem Grundsatz im Bergbau Gemeinwohl (Energieversorgung) vor Eigenwohl (d.h. vor Besitz und z.T. auch vor körperlichem und seelischem Wohlbefinden der Betroffenen). Es wird seitens des Bergbau-Betreibenden dann darauf verwiesen, dass Beeinträchtigungen dementsprechend zu erdulden seien und entstehende Schäden schließlich auf gesetzlicher Basis reguliert werden.

 

Angesichts der bestehenden objektiven Rahmenbedingungen – hohe Subventionen, Rücksichtnahme auf die Betroffenen nur unter Anwendung der Regelungen einer veralteten, für die Zeit der energiepolitischen Notwendigkeit der Steinkohleförderung geschaffenen Gesetzgebung – fehlt inzwischen nicht nur völlig die Akzeptanz des Steinkohlebergbaus bei den von den Auswirkungen Betroffenen, sondern schwindet diese auch zunehmend in der Gesamt-Bevölkerung.

 

Die Subventionierung der Steinkohleabbaus dient unausgesprochen in erster Linie als arbeitsmarktpolitisches Instrument (sozialverträgliche Rückführung bzw. Auslaufen des Steinkohlebergbaus). Zwar hat es in den letzten Jahren – auch aufgrund bestehender Regelungen der Europäischen Union noch im Rahmen des EGKS-Vertrags – einen erheblichen Stellenabbau im deutschen Steinkohlebergbau ohne betriebsbedingte Kündigungen gegeben, auch für die Zeit bis 2005 ist zudem in der Bundesrepublik Deutschland ein weiterer Rückbau der Beschäftigtenzahl vorgesehen. Der mit dem Konzept verbundene Rationalisierungszwang (kontinuierliche Senkung der Förderkosten / t Kohle) hat jedoch dazu geführt, dass Schutzmaßnahmen (etwa die Verwendung von Blas- oder Spülversatz), die die Veränderungen an der Oberfläche und damit die Auswirkungen auf Mensch und Natur deutlich verringert hätten, aufgrund der damit verbundenen Kostenerhöhung von dem Bergbau-Betreiber nicht mehr in Betracht gezogen wurde. Jeder diesbezügliche Kompromissvorschlag der Bergbau-Betroffenen wird seit Jahren zurückgewiesen oder ignoriert.

 

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Strategien

 

Die Europäische Union ist einem weltweiten Handel im Geben wie im Nehmen verpflichtet, sonst wird sie unglaubwürdig. Wo Wettbewerb möglich ist, muss er unterstützt und darf nicht noch durch staatliche Subventionen behindert werden. Die vor allem von dem bundesdeutschen Bergbau-Betreiber, aber auch der Regierung der Bundesrepublik Deutschland verfolgte nationale Politik erinnert eher an längst als überholt und vergangen angenommene Autarkie-Strategien, ja an die Planwirtschaft in der ehemaligen DDR.

 

Zudem werden gerade diejenigen Energie-Ressourcen, die in ferner Zukunft - als ein mögliches Szenario - einmal zur Abwehr oder Minderung externer Kartelle oder Erpressungen benötigt würden, nicht oder kaum mehr vorhanden sein, wenn sie zwischenzeitlich – folgte man den Vorstellungen der deutschen Bundesregierung über einem nationalen Kohlesockel von 20 bis 22 Mio. t Förderung / Jahr – aufgebraucht wurden.

   

Angesichts der wachsenden Problematik, gerade die spezifisch qualifizierten Bergleute für andere Berufe zu qualifizieren, auch angesichts der Gesamtsituation am Arbeitsmarkt kann man nicht davon ausgehen, dass ein Auslaufen des Kohlebergaus problemlos möglich ist, das Konzept der Reduzierung ohne betriebsbedingte Kündigungen ist auf Dauer nicht haltbar. Es muss daher im Interesse der Bergleute, aber auch im Interesse der Bewahrung des sozialen Friedens nach neuen Wegen gesucht werden.

 

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Konsequenzen

 

Gerade wenn einem zudem nur auf nationalen Interessen und Schwerpunktsetzungen aufbauenden energiepolitischen Konzept seitens der Europäischen Union bedingt Rechnung getragen und einem Mitgliedsland in einem eng begrenzten Umfang zugestanden wird, weiterhin die Steinkohleförderung im eigenen Land erheblich zu subventionieren, muss die oberste Prämisse sein, den weiteren Bergbau so ressourcen- und oberflächenschonend wie irgend möglich zu betreiben.

 

Die Problematik des spezifischen Arbeitsplatz-Verlustes kann nur durch eine gezielte, die Kompetenzen und Qualifikationen berücksichtigende regionale Restrukturierung gemildert bzw. bewältigt werden, die entsprechend staatlich zu fördern ist. Die betroffenen ehemaligen Montanregionen (Saarland und Ruhrgebiet) sind aus eigener Kraft nicht in der Lage, diese Restrukturierung zu bewältigen.

 

Der Vorschlag der Kommission der Europäischen Union an den Ministerrat bietet bereits eine Grundlage, die allerdings weiter zu präzisieren ist, um in zweckgerichtete Handlungen umgesetzt werden zu können.

 

FORDERUNGEN

nach ergänzenden verbindlichen Rahmensetzungen

 

Die Regelung muss zunächst eindeutig sicherstellen, dass die Interessen der Bergbau-Geschädigten hinreichend gewahrt werden. Dazu werden folgende Vereinbarungen gefordert:

 

1.     Steinkohlebergbau, der zu erheblichen Auswirkungen auf Mensch und Natur führt, ist unmittelbar einzustellen.

 

Beispielsweise führt ein weiterer Kohleabbau unter dem Rhein – im Falle des Bergwerks Walsum – zu ‚ewigen’ Folgekosten. Berechnungen für den aktuell beantragten Rahmenbetriebsplan haben zudem gezeigt, dass infolge dauerhaft notwendiger Grundwasserpumpwerke durch dieses Abbauvorhaben ein ständiger Energiebedarf von 330 Millionen kWh pro Jahr entstehen wird. Das führt dazu, dass die gesamte Energiemenge, die innerhalb von 18 Jahren aus den geförderten 50 Millionen t Steinkohle gewonnen werden kann, nicht einmal den absehbaren  Energiebedarf der aus diesem Abbauvorhaben resultierenden Folgemaßnahmen  deckt. 

 

Das Bergwerk Warndt-Luisenthal (Raum Völklingen) baut Kohle vorwiegend unter stark bewohntem Gebiet ab. Die Konsequenz: Siedlung und Ortskern von Völklingen-Fürstenhausen (850 Häuser) sind stark betroffen: Gaswarnanlagen schon in fast 500 Häusern, Hausabrisse, u.a. drei Wohnblöcke mit 48 Familien.

 

Erdbebenähnliche seismische Erschütterungen, verursacht durch den Kohleabbau des Bergwerks Ensdorf, versetzen die Bewohner in Lebach und Umgebung fast jeden Tag und Nacht in Angst; erhebliche Bergschäden sind bereits vorhanden und ein Biotop ist gefährdet.

 

2.     In Bergwerken, die aus Gründen der Herstellung einer langfristigen Versorgungssicherheit und zur Erhaltung des bergbautechnischen Know-how bestehen bleiben, soll der Bergbau nicht mehr unter rein produktiven Gesichtspunkten betrieben werden, sondern in erster Linie der Kompetenzsicherung und Ermöglichung einer ggf. raschen Wiederanlauffähigkeit dienen.

 

3.     Produktiver Steinkohlebergbau darf ansonsten unter bewohntem Gebiet nur bei Anwendung von Versatzbau (Blas- oder Spülversatz) erfolgen. Die dafür erforderlichen zusätzlichen Subventionsmittel sollten bei der vorgesehenen vergleichenden Wirtschaftlichkeitsrechnung ausgeklammert bzw. nur zu einem kleinen Teil einberechnet werden.

 

4.     Die Produktionsmenge in Deutschland ist weiterhin kontinuierlich zu reduzieren. Ziel muss es sein, möglichst viele der noch bestehenden Vorräte für einen etwaigen Krisenfall aufzuheben.

 

5.     Die Regelung soll ferner sicherstellen, dass die betroffenen Regionen Unterstützung bei der Restrukturierung dahingehend erfahren, dass für die betroffenen Bergbau-Beschäftigten verstärkt Angebote in solchen Bereichen ermöglicht / geschaffen werden, die die einschlägige Grund-Qualifizierung berücksichtigen:

 

6.     Die in den Jahren 2003 bis 2010 aufgrund der Rückführung der Steinkohleproduktion ‚eingesparten’ Subventionsmittel sollen den betroffenen Regionen als staatliche Sondermittel zur wirtschaftlichen Restrukturierung zur Verfügung gestellt werden.

 

7.     Die betroffenen Regionen sollen verpflichtet werden, bei der Verwendung der Subventionsmittel einen Schwerpunkt auf den Auf- und Ausbau der Nutzung regenerativer und alternativer Energien zu legen. Damit wird explizit den Zielen des EU-Konzepts Rechnung getragen, den Ausbau der Nutzung regenerativer und alternativer Energien zu fördern.

 

8.     Es sollen ferner Forschungen und Entwicklungen gefördert werden, die eine Nutzung stillgelegter oder vorübergehend schlafender Bergwerke zur geothermischen Energiegewinnung zum Ziel haben.

 

 

Die Unterzeichner der Resolution:

 

 

BiB - Bürgerinitiative Bergbau-Betroffener Niederrhein

 

Fulko - Fürstenhausen-Völklinger Union zur Limitierung des Kohleabbaus

unter bewohntem Gebiet

 

 

Völklingen-Fürstenhausen und Duisburg-Walsum, im Februar 2002

                                                

Kontakt:

 

-     Heinz W. Adams, Langwiesstraße 3, D-66333 Völklingen;

      Tel. ++49 (0)6898-31720; eMail: stefanadams@gmx.de;

-     Rainer Lenau, Wilhelm-Leuchner-Str. 4, D-47178 Duisburg;

      Tel. ++49 (0)203-470638; eMail: c.u.r.lenau@t-online.de

 

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Es war einmal eine Kellerassel   

Die geriet in ein Schlamassel.              

Der Keller, in dem sie asselte

Brach eines schönen Tages ein,           

So dass das ganze Haus aus Stein
I
hr auf das Köpfchen prasselte.
Sie soll religiös geworden sein.

                                (Bertold Brecht)

 

Schwerer wiegen Verfehlungen aus Begierde als die im Zorn.         (Theophrast, nach Marc Aurel)