Die Ausgangslage ist klar: Weltweit gibt es riesige Kohlevorräte. Das Volumen in den noch vorhandenen abbauwürdigen Lagerstätten in Deutschland ist demgegenüber unbedeutend. Der Kohleabbau in Deutschland ist zudem durch die Art der Lagerstätten und die notwendige Gewinnungstechnik im Vergleich zur Situation am Weltmarkt auf lange Sicht nicht wettbewerbsfähig. Der Kohlemarkt ist - wegen der weltweiten Vorräte und der Verteilung der Lagerstätten auf der Erde - kein Kartellmarkt, sondern ein Wettbewerbsmarkt: Der Preis der Importkohle 'frei Haus' liegt - je nach Dollarkurs des Euro - derzeit bei 80 bis 100 DM / Tonne, während bereits die Gestehungskosten der heimischen Kohle im Durchschnitt bei 260 DM / Tonne liegen. Die nächsten 20 oder 30 Jahre - etwa der Zeitraum, in dem hierzulande bei Beibehaltung des derzeitigen Fördervolumens noch Kohle verfügbar ist - wird sich nicht hinreichend viel an dieser Situation ändern, so dass die nationale Kohlegewinnung unwirtschaftlich bleiben würde und daher weiter jährlich mit Milliardenbeträgen subventioniert werden müsste. Wann und ob langfristig eine Situation eintritt, in der diese Versorgungsmöglichkeit durch relativ preisgünstige Importkohle nicht mehr besteht, kann heute niemand sagen. Wenn sie aber eines fernen Tages eintreten sollte, werden die jetzt noch vorhandenen Vorräte weitgehend erschöpft sein, wenn man in der Größenordnung weiter macht, wie es die Deutsche Steinkohle AG (DSK) und der Mutterkonzern RAG beabsichtigen. Dort geht man von einer jährlichen Produktion von mindestens 20 Millionen Tonnen / Jahr aus. Im Jahr 2020 würden also bereits ca. 400 Millionen Tonnen Kohle 'fehlen', wenn es zu diesem Zeitpunkt zu einer Versorgungskrise käme. (An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass sich geförderte Kohle aus technischen Gründen nicht langfristig lagern lässt.)
Da der EGKS-Vertrag im Sommer 2002 nach 50 Jahren
seines Bestehens ausläuft - er regelte u.a. die Energieversorgung in der heutigen
EU -, muss die Energiepolitik der Europäischen Union neu definiert werden. Die
EU-Kommission hat dazu zunächst Grundlagen erarbeitet und im Grünbuch 2000
publiziert; inzwischen liegt auch ein spezifischer Vorschlag der Kommission an den Ministerrat der EU zu einem Beschluss vor, der die weitere
Steinkohleförderung in ein energiepolitisches Grundkonzept einbindet und eine
Reichweite bis 2010 hat, wobei das Konzept im Jahr 2007 überprüft werden soll.
Wichtigste Aspekte sind:
- Es wird ein Anteil von ca. 20 % der Versorgung mit heimischer Primärenergie angestrebt, wobei dieser
Sockelbetrag durch wachsende Anteile
alternativer regenerativer Energien (Wind, Wasser, Photovoltaik, Geothermik,
Rapsöl ...) und sinkende Anteile der
Kohle bestimmt sein soll. Subventionen, die der Umsetzung dieses Konzepts
dienen, werden zugelassen. Über die jeweilige Größenordnung (also den Anteil
der Steinkohle an diesem Sockelbetrag: er muss nur stetig sinken) können die
Mitgliedsstaaten selbst entscheiden.
- Unwirtschaftliche Bergwerke sollen nach Möglichkeit bis 2007
geschlossen werden. Danach darf es keine Bezuschussung für eine Schließung mehr
geben, d.h. das Bergwerksunternehmen muss diese Kosten ggf. selbst finanzieren.
- Zur Sicherstellung der langfristigen Versorgungssicherheit soll es den Mitgliedsstaaten möglich sein, Bergwerke weiter zu subventionieren. Der entsprechende Bergwerksbetrieb bedient dabei vordergründig nicht mehr den Markt, sondern dient der Sicherung der weiteren Verfügbarkeit des technischen Know-how und der Infrastruktur, um im möglichen Notfall eines noch fernen Tages die Produktion rasch wieder ankurbeln zu können. Nach Ansicht der EU-Kommission kann dieses Know-how nur erhalten bleiben, wenn dazu in den verbleibenden Bergwerken weiterhin Kohle auf einem minimalen Level gefördert wird.
Wenn ich diese Vorschläge richtig interpretiere,
heißt dies letztendlich Folgendes:
- Bis 2007 müssen die Mitgliedsstaaten die soziale Problematik gelöst haben, die durch die Überkapazität im
Kohlebergbau und die Unwirtschaftlichkeit der Produktion veranlasst sind. In
Frankreich ist dies - um ein konkretes Beispiel zu nennen - schon 2005 der
Fall: dann läuft dort die Kohleförderung endgültig aus.
- Bis 2010 gibt es noch die Möglichkeit, Kohleabbau in denjenigen
Bergwerken zu subventionieren, die relativ zu anderen noch etwas
wirtschaftlicher sind: ein Prinzip, das bisher schon die Grundlage der
Rückführung der Förderkapazität im Rahmen des Kompromisses von 1997 war.
Allerdings besteht hier das Risiko, dass die EU im Jahr 2007 nach Überprüfung
der Situation weitere einschneidende Maßnahmen beschließt.
- Um das Know-how und die Infrastruktur langfristig zu erhalten,
ist vorgesehen, weiterhin (wenn auch auf einem - nicht weiter definierten -
Minimum) Kohle abzubauen. Es kann also durchaus sein - je nachdem, was man noch
im Minimalfall tun muss -, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem der Bedarf an
heimischer Kohle entsteht, diese nicht mehr oder nicht mehr in dem Maße
verfügbar ist, dass sie noch hinreicht, externem Preisdruck zu widerstehen oder
Versorgungsengpässe zu schließen.
Wie die jüngste Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts Saarlouis zu einem Eilantrag eines Bürgers aus Lebach
(vom 22. August 2001) bereits zeigt, bedarf diese Energiepolitik der EU
weiterer Klärung. Das OVG hat nämlich - m.E. in in fälschlicher Interpretation
dieses Konzepts - auf die Energiepolitik der EU Bezug genommen und aus dem
Kriterium der langfristigen Versorgungssicherheit geschlossen, dass der weitere
Betrieb des Bergwerks Ensdorf auch daraus gerechtfertigt sei. Dass dieses
Konzept eine ganz andere Logik hat, wird übersehen: Ensdorf produziert für den
Markt, ein mögliches Bergwerk Ensdorf, das aus Gründen der
Versorgungssicherheit auf einem Minimal-Level weiter Kohle fördert, könnte z.B.
- was die Produktion angeht - im Einschicht-Betrieb gefahren werden, wenn man
überhaupt zur Erhaltung des Know-how und der Infrastriktur täglich Kohle
fördern müsste.
Das Konzept der EU - wenn man es überhaupt für
machbar ansehen will - bedarf also dringend einer Konkretisierung durch die EU
selbst, die deutsche Bundesregierung, die betroffenen Landesregierungen sowie
den Bergwerksbetreiber. Diese sollte ein klares Modell beinhalten mit Nennung
der Bergwerke, die nach dem jetzigen Stand der Erkenntnis bis 2007 (wann)
geschlossen werden sollen, der Bergwerke, die bis 2010 weiterhin produktiv sein
sollen, und der Bergwerke, die nach dem Modell der Sicherstellung der
langfristigen Versorgungssicherheit 'eingemottet' bzw. auf 'Minimalproduktion' eingestellt werden sollen.
Dies muss unter dem Vorzeichen der kontinuierlichen Rückführung der
Kohleproduktion bis 2010 und konkreten Angaben zum geplanten Ausbau des Anteils
regenerativer alternativer Energien am Primärenergiesockel geschehen.
Man muss ein gewisses Verständnis dafür aufbringen,
dass der Bergwerksbetreiber selbst sich schwer tut, nach Alternativen zur
jetzigen Verfahrensweise zu suchen, die darin besteht, auf der Basis des im
Kohlekompromiss von 1997 vorgegebenen jährlichen Gesamt-Fördervolumens
möglichst viel Kohle so schnell wie möglich und möglichst wirtschaftlich aus
dem Berg zu holen. Ein Umschwenken der DSK könnte von den Bergleuten sehr
leicht als Verrat an ihrer Sache (miss)-interpretiert werden. Wer könnte es den
Betroffenen zudem verdenken, dass sie um ihren Arbeitsplatz bangen? Wer sägt
sich schon gerne den Ast ab, auf dem er sitzt?
Daher ist in erster Linie die Politik gefordert.
Dabei darf es aber nicht bei reinen Sprüchen wie 'Gleitflug statt Sturzflug'
bleiben (das Motto der saarländischen Kohlepolitik, als ob es so etwas gäbe:
Man kann ein Bergwerk - es gibt noch deren zwei im Saarland - leider nicht peu
à peu bis zum letzten Mann herunterfahren und dabei noch Kohle produzieren). Es
gibt insgesamt in Zukunft nur die Möglichkeit, Bergwerk A zum Zeitpunkt X,
Bergwerk B zum Zeitpunkt Y zu schließen usf. und dabei ein konkretes Modell auf
der Basis des Versorgungssicherheits-Konzepts zu erarbeiten und zu
intergrieren, d.h. 'Versorgungssicherheitsbergwerke' zu erhalten, die etwas
Anderes sind als marktorientierte Bergwerke. Die soziale Problematik bleibt bei
dieser Strategie die gleiche: für die Realisierung des
Versorgungssicherheits-Modells bedarf es nur einer relativ kleinen Zahl von
Fachleuten (vielleicht bundesweit einige Tausend).
Im Konzept der EU wird der Problematik der
unmittelbar vom Bergbau betroffenen Oberflächenbewohner und der Einflüsse auf
die 'lokale' Umwelt nicht Rechnung
getragen. Vielleicht ist man bei der Kommission von den - hier nicht klein zu
redenden - Problemen der globalen Umwelt
(CO2-Produktion bei der Verbrennung von Steinkohle und nachfolgende
Klimakatastrophe) zu sehr in den Bann gezogen worden, so dass man diese vor Ort
bestehenden Probleme übersehen hat. Sie sind aber nun einmal real gegeben. So
lange man nämlich von der Unausweichlichkeit ausgeht, dass - wie seit
Jahrhunderten bekannt - der Bergbau an der Erdoberfläche Schäden verursacht,
die aufgrund des Interesses des Gemeinwohls
vom Betroffenen hinzunehmen ist (und ja auch unter diesem Aspekt hingenommen
wurden), zumal dieser Anspruch auf materielle Entschädigung hat, werden die
Interessen dieser Betroffenen (Eigenwohl)
stets zurückgestellt, d.h. wird dem Bergbau Priorität gegeben. Alle bisherigen
Gerichtsentscheidungen stützen sich auf diese Argumentationskette.
Unter dem Vorzeichen, dass der Kohlebergbau derzeit
und auf absehbare Zeit unwirtschaftlich ist und extrem hoch mit Steuergeldern
finanziert wird (gegenwärtig zahlt jeder Bundesbürger - vom Säugling bis zum
Greis - rund 100 DM / Jahr für die Erhaltung des Kohlebergbaus und der
Arbeitsplätze: es handelt sich um die wohl gigantischste
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Bundesrepublik Deutschland), sehen die
Betroffenen nicht mehr ein, dass auf ihrem Rücken die Last dieses
Pseudo-Gemeinwohls liegt. In Walsum (Niederrhein) führt der Kohelabbau auf
unabsehbare Zeit dazu, dass wertvolles Grundwasser (mehr als 50 Mio. m³ / Jahr)
in den Rhein gepumpt und die Deiche weiter erhöht werden müssen (auf bis zu 14
m): von einer Hochwasserkatastrophe wären ggf. allein hier 150.000 Menschen
betroffen. Im Saarland bebt im Bereich Lebach seit mehreren Jahren fast täglich
die Erde, verursacht durch 'bergbauinduzierte seismische Erscheinungen', d.h.
den Kohleabbau im Bergwerk Ensdorf. Die Situation in Fürstenhausen, einem
Stadtteil von Völklingen, ist wieder anders: hier führt der Kohleabbau des
Bergwerks Warndt-Luisenthal (eines der unwirtschaftlichsten Bergwerke in der
Rangliste des DSK) seit Jahren zu katastrophalen Schäden an Häusern. Sollte die
weiteren kurzfristigen Abbaupläne umgesetzt werden, wird der Ort Fürstenhausen
schon 2002 nicht mehr wiederzuerkennen ('platt gemacht') sein. Man ist
versucht, in Anlehnung an Fleury zu sagen: Ici fût Fürstenhausen ...
Wer glaubt, dass die inzwischen vorgeschriebenen
Umweltverträglichkeitsprüfungen hier viel bewirken, der sieht sich getäuscht:
Im Notfall wird - wie in Fürstenhausen geschehen - im
Planfeststellungsbeschluss des Oberbergamts die Einrichtung einer psycho-sozialen Beratungsstelle vorgeschrieben,
um den im Beschuss übrigens mehrfach konzidierten bis an die Grenze gehenden
psychischen Belastungen der Bewohner zu begegnen, und sind Gaswarnanlagen in den Häusern zu installieren (derzeit bereits über
200). Der Kohlekompromiss von 1997 ist bislang die Grundlage dafür, diese
Probleme zu ignorieren, das neuerliche Konzept der EU gibt der Bundesregierung
wiederum hinreichend Spielraum, zumindest die nächsten Jahre so weiter zu
verfahren wie bisher. Auch die betroffenen Länder geben sich mit der bisherigen
Strategie zufrieden. Sie hat ja den Vorteil, dass man ohne weitere
Anstrengungen den Dingen ihren Lauf lassen kann, ohne dass es abrupt zu
sozialen Verwerfungen und damit weiteren Spannungen kommt. Was aufgebrachte
Bergleute bewirken können, hat die Blockade der Autobahn bei Völklingen vor einigen
Jahren ja zur Genüge verdeutlicht.
Wenn es nur
um die Arbeitsplätze geht (so muss man die Situation derzeit eigentlich sehen),
dann sollten den Bergleuten bzw. den Mitarbeitern der DSK (weniger als die
Hälfte arbeitet unter Tage) die gleichen Möglichkeiten geboten werden, wie dies
in anderen Bereichen üblich ist, wenn eine Branche sich am Markt nicht mehr
behaupten kann. Aufgrund der bestehenden Argumentationskette ist man politisch
jedoch nicht gefordert, nach Alternativen zu suchen - und es fehlen die Mittel
(die ja für die Subventionen der Kohleförderung selbst verbraucht werden).
Umschulungen sind beispielsweise für DSK-Mitarbeiter ein 'Angebot', keine
Pflicht. Warum kann man nicht nach dem Vorbild der Stahlindustrie eine Kohlestiftung gründen, die die
MitarbeiterInnen übernimmt und systematisch an den Arbeitsmarkt vermittelt?
Warum stellt man die ggf. bei Subventionen eingesparten Mittel nicht in den
betroffenen Regionen bereit, um hier in besonderem Maße den Einsatz
regenerativer Energien zu befördern (und damit neue Arbeitsplätze zu schaffen)? Warum überlegt man nicht einmal,
ob es möglich ist, die stillgelegten Bergwerke geothermisch zu nutzen? Es kann
nicht Aufgabe der Bergbau-Geschädigten sein, auch noch Lösungen für den Fall
der Schließung von Bergwerken zu erarbeiten, während die Bergwerksbetreiberin
die Hände in den Schoß legt und allenfalls lobbyistisch interveniert, um
möglichst lange den Status quo zu erhalten.
Es wird Zeit, dass Bund und Länder angesichts der
Situation und neuen Rahmenbedingungen auch neue Konzepte erarbeiten, die
bereits kurzfristig wirken (für
Fürstenhausen kommt beispielsweise eine mögliche Schließung des Bergwerks
Warndt im Jahr 2005 / 2007 zu spät). Eine Lösung könnte sein, in den besonders
betroffenen Bergwerken jetzt schon
(2001 / 2002) auf die neue Strategie der langristigen
Versorgungssicherheit umzuschwenken, d.h. den Kohlebergbau hier so schnell es
technisch geht auf die Minimal-Lösung umzustellen, um die vorhandenen Kohlevorräte
für den Ernstfall zu schonen. Eine Umwidmung der Subventionsmittel könnte dazu
genutzt werden, den damit verbundenen Personalabbau (z.B. über eine
Kohlestiftung) sozialverträglich zu gestalten.