Harald H. Zimmermann

 

Zur Zukunft des Kohlebergbaus in Deutschland

 

Die Ausgangslage ist klar: Weltweit gibt es riesige Kohlevorräte. Das Volumen in den noch vorhandenen abbauwürdigen Lagerstätten in Deutschland ist demgegenüber unbedeutend. Der Kohleabbau in Deutschland ist zudem durch die Art der Lagerstätten und die notwendige Gewinnungstechnik im Vergleich zur Situation am Weltmarkt auf lange Sicht nicht wettbewerbsfähig. Der Kohlemarkt ist - wegen der weltweiten Vorräte und der Verteilung der Lagerstätten auf der Erde - kein Kartellmarkt, sondern ein Wettbewerbsmarkt: Der Preis der Importkohle 'frei Haus' liegt - je nach Dollarkurs des Euro - derzeit bei 80 bis 100 DM / Tonne, während bereits die Gestehungskosten der heimischen Kohle im Durchschnitt bei 260 DM / Tonne liegen. Die nächsten 20 oder 30 Jahre - etwa der Zeitraum, in dem hierzulande bei Beibehaltung des derzeitigen Fördervolumens noch Kohle verfügbar ist - wird sich nicht hinreichend viel an dieser Situation ändern, so dass die nationale Kohlegewinnung unwirtschaftlich bleiben würde und daher weiter jährlich mit Milliardenbeträgen subventioniert werden müsste. Wann und ob langfristig eine Situation eintritt, in der diese Versorgungsmöglichkeit durch relativ preisgünstige Importkohle nicht mehr besteht, kann heute niemand sagen. Wenn sie aber eines fernen Tages eintreten sollte, werden die jetzt noch vorhandenen Vorräte weitgehend erschöpft sein, wenn man in der Größenordnung weiter macht, wie es die Deutsche Steinkohle AG (DSK) und der Mutterkonzern RAG beabsichtigen. Dort geht man von einer jährlichen Produktion von mindestens 20 Millionen Tonnen / Jahr aus. Im Jahr 2020 würden also bereits ca. 400 Millionen Tonnen Kohle 'fehlen', wenn es zu diesem Zeitpunkt zu einer Versorgungskrise käme. (An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass sich geförderte Kohle aus technischen Gründen nicht langfristig lagern lässt.)

 

Da der EGKS-Vertrag im Sommer 2002 nach 50 Jahren seines Bestehens ausläuft - er regelte u.a. die Energieversorgung in der heutigen EU -, muss die Energiepolitik der Europäischen Union neu definiert werden. Die EU-Kommission hat dazu zunächst Grundlagen erarbeitet und im Grünbuch 2000 publiziert; inzwischen liegt auch ein spezifischer Vorschlag der Kommission an den Ministerrat der EU zu einem Beschluss vor, der die weitere Steinkohleförderung in ein energiepolitisches Grundkonzept einbindet und eine Reichweite bis 2010 hat, wobei das Konzept im Jahr 2007 überprüft werden soll. Wichtigste Aspekte sind:

 

-     Es wird ein Anteil von ca. 20 % der Versorgung mit heimischer Primärenergie angestrebt, wobei dieser Sockelbetrag durch wachsende Anteile alternativer regenerativer Energien (Wind, Wasser, Photovoltaik, Geothermik, Rapsöl ...) und sinkende Anteile der Kohle bestimmt sein soll. Subventionen, die der Umsetzung dieses Konzepts dienen, werden zugelassen. Über die jeweilige Größenordnung (also den Anteil der Steinkohle an diesem Sockelbetrag: er muss nur stetig sinken) können die Mitgliedsstaaten selbst entscheiden.

-     Unwirtschaftliche Bergwerke sollen nach Möglichkeit bis 2007 geschlossen werden. Danach darf es keine Bezuschussung für eine Schließung mehr geben, d.h. das Bergwerksunternehmen muss diese Kosten ggf. selbst finanzieren.

-     Zur Sicherstellung der langfristigen Versorgungssicherheit soll es den Mitgliedsstaaten  möglich sein, Bergwerke weiter zu subventionieren. Der entsprechende Bergwerksbetrieb bedient dabei vordergründig nicht mehr den Markt, sondern dient der Sicherung der weiteren Verfügbarkeit des technischen Know-how und der Infrastruktur, um im möglichen Notfall eines noch fernen Tages die Produktion rasch wieder ankurbeln zu können. Nach Ansicht der EU-Kommission kann dieses Know-how nur erhalten bleiben, wenn dazu in den verbleibenden Bergwerken weiterhin Kohle auf einem minimalen Level gefördert wird.

 

Wenn ich diese Vorschläge richtig interpretiere, heißt dies letztendlich Folgendes:

 

-     Bis 2007 müssen die Mitgliedsstaaten die soziale Problematik gelöst haben, die durch die Überkapazität im Kohlebergbau und die Unwirtschaftlichkeit der Produktion veranlasst sind. In Frankreich ist dies - um ein konkretes Beispiel zu nennen - schon 2005 der Fall: dann läuft dort die Kohleförderung endgültig aus.

-     Bis 2010 gibt es noch die Möglichkeit, Kohleabbau in denjenigen Bergwerken zu subventionieren, die relativ zu anderen noch etwas wirtschaftlicher sind: ein Prinzip, das bisher schon die Grundlage der Rückführung der Förderkapazität im Rahmen des Kompromisses von 1997 war. Allerdings besteht hier das Risiko, dass die EU im Jahr 2007 nach Überprüfung der Situation weitere einschneidende Maßnahmen beschließt.

-     Um das Know-how und die Infrastruktur langfristig zu erhalten, ist vorgesehen, weiterhin (wenn auch auf einem - nicht weiter definierten - Minimum) Kohle abzubauen. Es kann also durchaus sein - je nachdem, was man noch im Minimalfall tun muss -, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem der Bedarf an heimischer Kohle entsteht, diese nicht mehr oder nicht mehr in dem Maße verfügbar ist, dass sie noch hinreicht, externem Preisdruck zu widerstehen oder Versorgungsengpässe zu schließen.

 

Wie die jüngste Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Saarlouis zu einem Eilantrag eines Bürgers aus Lebach (vom 22. August 2001) bereits zeigt, bedarf diese Energiepolitik der EU weiterer Klärung. Das OVG hat nämlich - m.E. in in fälschlicher Interpretation dieses Konzepts - auf die Energiepolitik der EU Bezug genommen und aus dem Kriterium der langfristigen Versorgungssicherheit geschlossen, dass der weitere Betrieb des Bergwerks Ensdorf auch daraus gerechtfertigt sei. Dass dieses Konzept eine ganz andere Logik hat, wird übersehen: Ensdorf produziert für den Markt, ein mögliches Bergwerk Ensdorf, das aus Gründen der Versorgungssicherheit auf einem Minimal-Level weiter Kohle fördert, könnte z.B. - was die Produktion angeht - im Einschicht-Betrieb gefahren werden, wenn man überhaupt zur Erhaltung des Know-how und der Infrastriktur täglich Kohle fördern müsste.

 

Das Konzept der EU - wenn man es überhaupt für machbar ansehen will - bedarf also dringend einer Konkretisierung durch die EU selbst, die deutsche Bundesregierung, die betroffenen Landesregierungen sowie den Bergwerksbetreiber. Diese sollte ein klares Modell beinhalten mit Nennung der Bergwerke, die nach dem jetzigen Stand der Erkenntnis bis 2007 (wann) geschlossen werden sollen, der Bergwerke, die bis 2010 weiterhin produktiv sein sollen, und der Bergwerke, die nach dem Modell der Sicherstellung der langfristigen Versorgungssicherheit 'eingemottet' bzw. auf  'Minimalproduktion' eingestellt werden sollen. Dies muss unter dem Vorzeichen der kontinuierlichen Rückführung der Kohleproduktion bis 2010 und konkreten Angaben zum geplanten Ausbau des Anteils regenerativer alternativer Energien am Primärenergiesockel geschehen.

 

Man muss ein gewisses Verständnis dafür aufbringen, dass der Bergwerksbetreiber selbst sich schwer tut, nach Alternativen zur jetzigen Verfahrensweise zu suchen, die darin besteht, auf der Basis des im Kohlekompromiss von 1997 vorgegebenen jährlichen Gesamt-Fördervolumens möglichst viel Kohle so schnell wie möglich und möglichst wirtschaftlich aus dem Berg zu holen. Ein Umschwenken der DSK könnte von den Bergleuten sehr leicht als Verrat an ihrer Sache (miss)-interpretiert werden. Wer könnte es den Betroffenen zudem verdenken, dass sie um ihren Arbeitsplatz bangen? Wer sägt sich schon gerne den Ast ab, auf dem er sitzt?

 

Daher ist in erster Linie die Politik gefordert. Dabei darf es aber nicht bei reinen Sprüchen wie 'Gleitflug statt Sturzflug' bleiben (das Motto der saarländischen Kohlepolitik, als ob es so etwas gäbe: Man kann ein Bergwerk - es gibt noch deren zwei im Saarland - leider nicht peu à peu bis zum letzten Mann herunterfahren und dabei noch Kohle produzieren). Es gibt insgesamt in Zukunft nur die Möglichkeit, Bergwerk A zum Zeitpunkt X, Bergwerk B zum Zeitpunkt Y zu schließen usf. und dabei ein konkretes Modell auf der Basis des Versorgungssicherheits-Konzepts zu erarbeiten und zu intergrieren, d.h. 'Versorgungssicherheitsbergwerke' zu erhalten, die etwas Anderes sind als marktorientierte Bergwerke. Die soziale Problematik bleibt bei dieser Strategie die gleiche: für die Realisierung des Versorgungssicherheits-Modells bedarf es nur einer relativ kleinen Zahl von Fachleuten (vielleicht bundesweit einige Tausend).

 

Im Konzept der EU wird der Problematik der unmittelbar vom Bergbau betroffenen Oberflächenbewohner und der Einflüsse auf die 'lokale' Umwelt nicht Rechnung getragen. Vielleicht ist man bei der Kommission von den - hier nicht klein zu redenden - Problemen der globalen Umwelt (CO2-Produktion bei der Verbrennung von Steinkohle und nachfolgende Klimakatastrophe) zu sehr in den Bann gezogen worden, so dass man diese vor Ort bestehenden Probleme übersehen hat. Sie sind aber nun einmal real gegeben. So lange man nämlich von der Unausweichlichkeit ausgeht, dass - wie seit Jahrhunderten bekannt - der Bergbau an der Erdoberfläche Schäden verursacht, die aufgrund des Interesses des Gemeinwohls vom Betroffenen hinzunehmen ist (und ja auch unter diesem Aspekt hingenommen wurden), zumal dieser Anspruch auf materielle Entschädigung hat, werden die Interessen dieser Betroffenen (Eigenwohl) stets zurückgestellt, d.h. wird dem Bergbau Priorität gegeben. Alle bisherigen Gerichtsentscheidungen stützen sich auf diese Argumentationskette.

 

Unter dem Vorzeichen, dass der Kohlebergbau derzeit und auf absehbare Zeit unwirtschaftlich ist und extrem hoch mit Steuergeldern finanziert wird (gegenwärtig zahlt jeder Bundesbürger - vom Säugling bis zum Greis - rund 100 DM / Jahr für die Erhaltung des Kohlebergbaus und der Arbeitsplätze: es handelt sich um die wohl gigantischste Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Bundesrepublik Deutschland), sehen die Betroffenen nicht mehr ein, dass auf ihrem Rücken die Last dieses Pseudo-Gemeinwohls liegt. In Walsum (Niederrhein) führt der Kohelabbau auf unabsehbare Zeit dazu, dass wertvolles Grundwasser (mehr als 50 Mio. m³ / Jahr) in den Rhein gepumpt und die Deiche weiter erhöht werden müssen (auf bis zu 14 m): von einer Hochwasserkatastrophe wären ggf. allein hier 150.000 Menschen betroffen. Im Saarland bebt im Bereich Lebach seit mehreren Jahren fast täglich die Erde, verursacht durch 'bergbauinduzierte seismische Erscheinungen', d.h. den Kohleabbau im Bergwerk Ensdorf. Die Situation in Fürstenhausen, einem Stadtteil von Völklingen, ist wieder anders: hier führt der Kohleabbau des Bergwerks Warndt-Luisenthal (eines der unwirtschaftlichsten Bergwerke in der Rangliste des DSK) seit Jahren zu katastrophalen Schäden an Häusern. Sollte die weiteren kurzfristigen Abbaupläne umgesetzt werden, wird der Ort Fürstenhausen schon 2002 nicht mehr wiederzuerkennen ('platt gemacht') sein. Man ist versucht, in Anlehnung an Fleury zu sagen: Ici fût Fürstenhausen ...

 

Wer glaubt, dass die inzwischen vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsprüfungen hier viel bewirken, der sieht sich getäuscht: Im Notfall wird - wie in Fürstenhausen geschehen - im Planfeststellungsbeschluss des Oberbergamts die Einrichtung einer psycho-sozialen Beratungsstelle vorgeschrieben, um den im Beschuss übrigens mehrfach konzidierten bis an die Grenze gehenden psychischen Belastungen der Bewohner zu begegnen, und sind Gaswarnanlagen in den Häusern zu installieren (derzeit bereits über 200). Der Kohlekompromiss von 1997 ist bislang die Grundlage dafür, diese Probleme zu ignorieren, das neuerliche Konzept der EU gibt der Bundesregierung wiederum hinreichend Spielraum, zumindest die nächsten Jahre so weiter zu verfahren wie bisher. Auch die betroffenen Länder geben sich mit der bisherigen Strategie zufrieden. Sie hat ja den Vorteil, dass man ohne weitere Anstrengungen den Dingen ihren Lauf lassen kann, ohne dass es abrupt zu sozialen Verwerfungen und damit weiteren Spannungen kommt. Was aufgebrachte Bergleute bewirken können, hat die Blockade der Autobahn bei Völklingen vor einigen Jahren ja zur Genüge verdeutlicht.

 

Wenn es nur um die Arbeitsplätze geht (so muss man die Situation derzeit eigentlich sehen), dann sollten den Bergleuten bzw. den Mitarbeitern der DSK (weniger als die Hälfte arbeitet unter Tage) die gleichen Möglichkeiten geboten werden, wie dies in anderen Bereichen üblich ist, wenn eine Branche sich am Markt nicht mehr behaupten kann. Aufgrund der bestehenden Argumentationskette ist man politisch jedoch nicht gefordert, nach Alternativen zu suchen - und es fehlen die Mittel (die ja für die Subventionen der Kohleförderung selbst verbraucht werden). Umschulungen sind beispielsweise für DSK-Mitarbeiter ein 'Angebot', keine Pflicht. Warum kann man nicht nach dem Vorbild der Stahlindustrie eine Kohlestiftung gründen, die die MitarbeiterInnen übernimmt und systematisch an den Arbeitsmarkt vermittelt? Warum stellt man die ggf. bei Subventionen eingesparten Mittel nicht in den betroffenen Regionen bereit, um hier in besonderem Maße den Einsatz regenerativer Energien zu befördern (und damit neue Arbeitsplätze zu schaffen)? Warum überlegt man nicht einmal, ob es möglich ist, die stillgelegten Bergwerke geothermisch zu nutzen? Es kann nicht Aufgabe der Bergbau-Geschädigten sein, auch noch Lösungen für den Fall der Schließung von Bergwerken zu erarbeiten, während die Bergwerksbetreiberin die Hände in den Schoß legt und allenfalls lobbyistisch interveniert, um möglichst lange den Status quo zu erhalten.

 

Es wird Zeit, dass Bund und Länder angesichts der Situation und neuen Rahmenbedingungen auch neue Konzepte erarbeiten, die bereits kurzfristig wirken (für Fürstenhausen kommt beispielsweise eine mögliche Schließung des Bergwerks Warndt im Jahr 2005 / 2007 zu spät). Eine Lösung könnte sein, in den besonders betroffenen Bergwerken jetzt schon  (2001 / 2002) auf die neue Strategie der langristigen Versorgungssicherheit umzuschwenken, d.h. den Kohlebergbau hier so schnell es technisch geht auf die Minimal-Lösung umzustellen, um die vorhandenen Kohlevorräte für den Ernstfall zu schonen. Eine Umwidmung der Subventionsmittel könnte dazu genutzt werden, den damit verbundenen Personalabbau (z.B. über eine Kohlestiftung) sozialverträglich zu gestalten.


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D70BEKI Stand: 2001-09-05